Wenn ich am Welser Lokalbahnhof sitze, denke ich an den Wilden Westen.
Als ich ein Kind war, gab es in der Nähe von München einen Western-Park namens „No Name City“, eine Art lebendig gewordene Filmkulisse. Da sanken Revolverhelden publikumswirksam in den Staub und irgendwann erfolgte ein Angriff echter bayrischer Ureinwohner, die mit wildem Geschrei durch die staubigen Straßen galoppierten. Ich schürfte Gold in einem künstlichen Bach. Es war wie bei Winnetou im Fernsehen, nur echt.
Am Welser Lokalbahnhof läuft in meinen Gedanken der gleiche Film. Die Sonne lässt die Gleise singen, und es liegt dieser metallische Geruch in der Luft, den nur Bahnhöfe und rauchende Colts verströmen können. Das Wartehäuschen sieht aus, als warte es selbst auf etwas. Der Stationsvorsteher tippt sich an den Hut, um den Lokführer zu grüßen. In der Justizanstalt dösen die Sheriffs. Ein Namenloser steigt aus dem Sattel seines Drahtesels, und bestimmt tritt drüben aus dem Quester gleich ein Desperado, der zu High Noon eine Wand verputzen möchte. Dazu spielt irgendwo jemand Mundharmonika.
Der Western ist eine Geschichte der Schicksale, der ungewissen Zukunft und des Aufbruchs. Doch was, wenn die Geschichte anders gekommen wäre? Wenn Anfang des 20. Jahrhunderts die Bahntrassen Richtung Südböhmen und Phyrnpass anders gebaut worden wären, wenn Wels statt Linz zum Verkehrsknotenpunkt geworden wäre? Wie sähe er dann aus, der Lokalbahnhof, wenn die Geschichte seine Weichen anders gestellt hätte? Würde es hier wuseln vor Geschäftigkeit, vor einer Kulisse aus austauschbaren Coffee-to-go-Saloons?
Und wo wird er hingaloppieren, der Lokalbahnhof, in der Zukunft? Wie wird der Westen sich entwickeln, wenn die Planwägen kommen und der Goldrausch losgeht? Fest steht wohl, dass der nächste Angriff nicht auf Pferden erfolgt, sondern wohl eher durch Immobilienfirmen – für eine Handvoll Dollar.
Davon ist noch nichts zu sehen. Noch liegt alles ruhig. Und noch kann man ihn genießen, diesen Ort, an dem man zusehen kann, wie die Gleise des Lebens verlaufen: Manchmal verlegt man sie genau durch deine Träume, manchmal knapp daran vorbei. Manchmal reitest du auf dem eisernen Dampfross in die Zukunft, manchmal bleibt dir nur ein Stadtschreiber übrig, der von Cowboy-Filmen träumt. Doch wo immer du hingehst, Lokalbahnhof, ich hoffe, dass du auch in der Zukunft ein wenig Platz hast: für glorreiche Halunken wie mich, für the Good, the Bad and the Ugly und für alle Billy-the-Kids und Calamity-Janes dieser Welt.
Falls auch Sie Ihr Schicksal in die Hand nehmen wollen, schreiben Sie mir doch unter: wels@stefanabermann.org. Ich suche nämlich noch nach Unerschrockenen, die mit mir ein ganz besonderes Duell wagen wollen: Pro Person eine Kugel – am Minigolf-Platz.
(Welser Kolumne #4 – erschienen in den Oberösterreichischen Nachrichten)