Abdruckeindrücke

(Welser Kolumne #13, erschienen in den OÖ Nachrichten am 7.10.21)

Wels ist in vielerlei Hinsicht ein historischer Ort. Besonders anschaulich wird das, wenn man in der Fuzo seinen Fuß auf den römischen Fußabdruck setzt. Irgendwann hat ein römischer Legionär einen Schritt im Lehm Ovilavas gemacht, sicher ohne zu wissen, dass Jahrtausende später andere Menschen voller Ehrfurcht seine genagelten Sohlen bewundern würden. Ich stelle mir vor, wie das sein wird, wenn irgendwann in ferner Zukunft, nach Klimaapokalypse und weltweiten Umbrüchen, eine Horde von Archäologen über unsere Reste herfällt: Vielleicht liegen dann Smartphones im Minoritenmuseum, weggeworfene Wahlkampffeuerzeuge werden wie kleine Devotionalien verehrt, und es gibt Theorien darüber, wofür wohl diese Bronzestatue in der Innenstadt einmal gedient haben könnte.

Viele Spuren setzen wir unbewusst, doch umgekehrt ist vieles, was Eindruck hinterlässt, gar nicht sichtbar: Die alltägliche Arbeit von Freiwilligen etwa, die in der Not das Notwendigste tun – die in Essensausgaben Nächstenliebe auftafeln, die auf die Peripherie schauen, während alles sich aufs Zentrum konzentriert, die Schlafstellen bereitstellen oder Alltagshilfen leisten, bevor jede Hilfe zu spät kommt, oder all jene, die ganz einfach in den hunderten Vereinen dieser Stadt ein wenig Spaß in ihren Lebensraum bringen und dafür sorgen, dass das Leben etwas lebenswerter wird – sie alle hinterlassen Abdrücke, die wohl nie in einer Fußgängerzone zu bewundern sein werden. Doch wenn Engagement eine Währung wäre, gäbe es in dieser Stadt viele reiche Leute.

Natürlich gibt auch solche, die etwas verbessern wollen, dann aber doch daran gehindert werden. Es fehlt in diesen Fällen plötzlich an allem: An Zeit, an Ressourcen, an Geld …, aber doch meist vor allem an Bereitschaft, den ersten Schritt zu tun. „Der größte Feind der Verbesserung ist der fehlende Wille“, das hat vielleicht ein gescheiterer Mensch als ich schon vor Jahrtausenden geschrieben.

Dabei sieht man doch im Alltag so oft, was möglich ist, wenn alle zusammenhelfen. Wenn beim Welser Volksfest plötzlich eine Fläche, die über Monate nur ein Parkplatz war, zu einem tobenden Kessel werden kann und schillernde Denkmale der Lebensfreude in den Himmel wachsen, dann stehe ich begeistert daneben. Wenn sich quasi über Nacht die Welser Innenstadt in ein Velodrom verwandeln kann, dann kann ich auch als Mensch in Bewegung kommen. Wir sind zu großen Dingen fähig, die meisten davon beginnen ganz klein. Wenn ich hier als Literaturlegionär wieder abziehe, werde ich das mitnehmen: Jeder noch so kleine Schritt kann irgendwann tiefe Spuren hinterlassen.

P.S.: Ich habe in dieser Stadt viele getroffen, die mich tief beeindruckt haben, und normalerweise rufe ich hier dazu auf, dass auch Sie mir solche Geschichten zusenden. Doch diesmal sage ich: Schreiben Sie nicht mir, sondern reden Sie mit denen, die Dank verdienen. Sie sollen besser nicht Jahrhunderte darauf warten müssen.

Rosskür

(Welser Kolumne #12, erschienen am 30.9.21 in den OÖ Nachrichten)

Oftmals gibt es „Koinzidenzen“: Ereignisse, die scheinbar zusammenhängen, auch wenn sie nichts miteinander zu tun zu haben. Zufällig war nun am vergangenen Sonntag in Wels nicht nur Wahl-, sondern auch Trabrenntag. Und ich will den Pferden nicht zu nahe treten, aber: Es gibt Parallelen.

Alles beginnt mit Aufwärmrunden. Mit bunten Bändern an den Ohren schwärmen die Zugpferde aus, gelenkt von Menschen in eigentümlichen Anzügen, den Spindoktoren des Rennsports, die ihre Tiere mit sanftem Druck in die richtige Spur bringen wollen. Bei den Pferden gibt es große Vielfalt. Da sind die schneidigen, die motivierten, solche, die mit größeren Scheuklappen durchs Leben traben, und die, die eher wirken, als machten sie nur widerwillig mit. Auf jeden Fall werden jene, die davor heimlich eine Spritze bekommen haben, bei den Kontrollen disqualifiziert.

Das Publikum beobachtet derweil: Manche eher oberflächlich, andere ganz professionell, indem sie in Zeitungen die Quoten studieren und die Pferde bewerten: welche Erfolge so ein Ross vorzuweisen hat, welche Gene es mitbringt, ob seine Eltern gut „vererbt“ haben. All das fließt ein, wenn man dann zum Wettschalter geht, um einen angekreuzten Schein abzugeben.

Und dann geht’s los. Wie von unsichtbarer Hand gesteuert, formieren sich die Gespanne hinter dem fahrenden Startgatter, man bezieht Stellung – mancher Jockey hält sich hier taktisch zurück, damit sein Pferd nicht „springt“, also in Galopp verfällt und ausgeschlossen wird. Doch dann ist der Start frei! Das Gedonner der Hufe tost durch die Luft, die Spannung steigt, angepeitscht von den aufgeregten Kommentaren aus dem Lautsprecher.

Was sagt die Hochrechnung? Die Gespanne sausen dahin wie anderswo Balkendiagramme, eine, zwei Runden! Bis schließlich eines die Ziellinie überquert, unter dem Applaus der Anhänger. Danach folgt die Preisverleihung. Der Sieger tänzelt herbei, lacht wiehernd in die Kamera und bekommt einen Pokal, vielleicht sogar eine Tüte Hafer.

Und wie bei Wahlen stehen die Sachverständigen daneben und diskutieren – bei den einen regiert die Freude über den Wettgewinn, bei den anderen der Jammer, weil man aufs falsche Pferd gesetzt hat und es nicht richtig gezogen hat. Die einen kassieren, andere lecken ihre Wunden.
Und ich frage mich, ob wohl die unterlegenen Pferde im Stall auch so dastehen wie anderswo Politiker. Ob sie wohl in ihren Boxen auch alle ständig sagen, was für ein großer Erfolg das Rennen doch war, ganz egal, auf welcher Platzierung sie eingelaufen sind. Wobei ich das den Trabern nicht zutraue. Sie sind sicher realistischer veranlagt. Auf der Bahn ist nämlich klar: Die einzige Wahrheit steht immer am Wettschein.

P.S.: Ich danke an dieser Stelle ganz herzlich dem Welser Trabrennverein, wo ich mit ansteckender Begeisterung über diese ehrwürdige Anlage geführt wurde. Falls Sie mir auch etwas in Wels zeigen wollen, melden Sie sich!

Brot und Wasserspiele

(Welser Kolumne #11, erschienen in den OÖ Nachrichten, am 23.9.21)

Wer Märchen liest, kommt an etwas nicht vorbei: Brunnen. In Brunnen sitzen magische Frösche, Feen und Frau Holle – oft braucht man sich nur beherzt in die Tiefe zu stürzen, um im Wunderland aufzuwachen.

In diesem Sinne ist Wels tatsächlich eine kleine Märchenwelt. Vielleicht fahren irgendwann bald die Linzer zum Zwergerlschnäutzen hierher, statt umgekehrt. Emsige Zauberwesen haben eifrig geackert, um überall kleine Wasserspiele zu installieren. Ausgefuchste Steuerungssysteme pumpen kühles Nass durch ihre Bergwerksstollen, und lassen so einen Goldregen niederprasseln. Überall pritschelt es. Und tatsächlich geht nun gar die Sage um, dass jene, die einen güldnen Dukaten in das richtige Wasserloch werfen, sich von der Stadt etwas wünschen dürfen. Doch welchen Brunnen soll man dafür wählen? Die Entscheidung fällt nicht leicht. Alle haben Vor- und Nachteile.

Beginnen wir beim neuesten, jenem am KJ, eher geeignet für die Technikaffinen unter uns: Optisch angelehnt an eine Flugzeugturbine, kämpfen hier rhythmisierte Strahlbögen mit einem zentralen Wasserzerstäuber – jedoch scheint das Zusammenspiel noch unausgewogen – dieser Brunnen muss sich erst finden. Als Ausweichmöglichkeit für den Wunschkreuzerwurf bietet sich aber gleich etwas weiter eine Alternative an: Hier tauchen wir ein in die Welt hartgesottener Stahlträger-Ästhetik – „KJ alt“ sieht dabei aus, als ob man das Stadtlogo ungespitzt verkehrt in den Boden gerammt hätte. Gleichzeitig verhindert ein Hochdruck-Wasserfall-Sperrfeuer, dass jemand das eingeworfene Geld wieder herausfischen könnte. Im Pollheimerpark könnte das eher passieren, die Taufbecken-Form erleichtert den Einstieg, ebenso lockt die Parkidylle. Allerdings hindert die Pietät gegenüber den Gedenktafeln manche am Münzwurf. Also muss man schon auf den Stadtplatz ausweichen, doch auch hier fällt die Auswahl schwer. Bei den Düsen vor der Eisdiele könnte man höchstens hoffen, dass unser Geld ins richtige Amtszimmer katapultiert wird; eher dient ja der Brunnen als Stolperfalle für Smartphonezombies, die einen falschen Schritt mit nassem Schritt bezahlen. Der Reiz dieses Brunnens liegt in den spielerischen und den klanglichen Qualitäten: Es ist ein wohltemperiertes Klatschen, das wohl bis zum Rathaus hörbar ist. Und damit landen wir am Stadtbrunnen, mit seiner Renaissance-Engerl-Grazie, wo wir unseren Golddukaten versenken könnten – hoffend, dass dieses Geld nicht für die Fisch’ ist. Noch während die Münze fliegt, sinnieren wir, was wir uns damit wohl sonst so hätten leisten können. Denn vielleicht denken Sie sich auch schon die ganze Zeit: Haben wir nicht andere Probleme als Brunnen? Und ich sage: Ja, vielleicht schon. Aber das soll dieses Wässerlein nicht trüben.

Hello from the other side

(Welser Kolumne #10 – erschienen am 16.9.21 in den Oberösterreichischen Nachrichten)

Es ist so weit. Monate der Vorbereitung liegen hinter mir. Ich habe Wels durchstreift, um mich abzuhärten. Ich habe trainiert: Körper, Geist und Zunge. Jetzt bin ich bereit für die ultimative Prüfung. Ich gehe rüber. Nach Thalheim.

Doch schon auf der Brücke beschleichen mich Zweifel. Mich umgibt diese Stille, die ich eigentlich nur aus Horrorfilmen kenne – Sie wissen schon: kurz, bevor etwas passiert. Unter mir schmatzt die Traun im Morgengrauen, wie eines dieser Wesen aus mittelalterlichen Gruselgeschichten. Damals dürften die Schauermärchen gleich geklungen haben: „Geh nicht hinüber, Kind“, warnten sie. „Halt dich bloß fern … von der Thalheimer Seit’n.“

Die „Thalheimer Seit’n“, das klingt wie die dunkle Seite der Macht – der Ort, wo sich Darth Vader ein Reihenhäuschen kaufen würde. Immer, wenn der Ort ins Gespräch kommt, klingt etwas Vorsicht durch, als erzählte man von einem Familienmitglied, das einen bei einer Erbschaft übers Ohr gehaut hat; als müsste man sich gleich bekreuzigen und eine Steuererklärung abgeben. Man könnte meinen, es lebten auf der anderen Traunseite nur Orks, Voldemort und freilaufende Hunde. Vielleicht sollte man drüber nachdenken, den Ort in „Du-weißt-schon-wo“ umzubenennen. Menschen, die dort wohnen, geben es deshalb erst nach mehrtägigem Kennenlernen zu – verschämt gestehen sie, dass sie da ein ganz bescheidenes Häuschen geerbt hätten und dann unerklärlicherweise hängengeblieben seien. Ach Thalheim, diese Gletscherspalte Oberösterreichs: Wenn man einmal reinfällt, kommt man nie wieder raus.

Man fragt sich, warum Wels diesen Ort tatsächlich eingemeinden will. Vielleicht gibt es dort Bodenschätze, von denen niemand weiß – roten Asphalt für neue Begegnungszonen vielleicht. Doch derweil schafft die Traun eine Situation wie bei Asterix im „Großen Graben“. Auf beiden Seiten entstehen dunkel gespiegelte Infrastrukturen und Wahlplakat-Varianten, Familien wurden entzweigerissen, und nur der Reinberg dient noch als moralische Stütze für jene, die zwar in Thalheim wohnen, aber ein Stück Wels noch im Herzen tragen – so wie der Punkt in den Hälften des Jing und Jang.

All das geht mir durch den Kopf, während ich auf der Brücke stehe und zur Marienwarte hinüberschaue. Die Sonne ist aufgegangen, golden strahlt der Hang. Verführerisch sieht es aus. Doch ich denke an die Warnungen der Alten: Das Leben auf der Sonnenseite kostet etwas – nicht nur Grunderwerbssteuer. Drum, Stadtschreiber, bleib bescheiden. Bleib lieber in Beverly Wels. Ich bin also wieder umgedreht. Ich war wohl noch nicht bereit für die „Thalheimer Seit’n“.

P.S.: Natürlich ist all das nur eine kleine, geflunkerte Gruselgeschichte. Hübsch war’s, in Thalheim. Aber falls Sie vielleicht nochmal eine kleine Runde mit mir drehen wollen, schreiben Sie mir doch, unter: wels@stefanabermann.org.

Wortschatzsuche

(Welser Kolumne #9, erschienen in den OÖ Nachrichten am 9.9.21)

Für mich als Tiroler gab es vor allem eine zauberhafte Begegnung in Wels: jene mit dem Dialekt. Angefangen mit dem „Fopper“, der einem auf hinterhältige Art die Sprache raubt, bis hin zum „Jauggerl“, das so häschenhaft durch die Dialektlandschaft hoppelt, dass jede Durchimpfungsrate plötzlich etwas Herzerwärmendes bekommt. (Wie ein Herbert Kickl da widerstehen kann, kann ich kaum ergründen.) Das hiesige Idiom ist wunderbar. Nicht immer ist klar, wo ein Konsonant anfängt und ein Vokal aufhört. Es ist so weich, dass ich ständig an frisch gewaschene Frotteehandtücher denken muss; ein Gesang, der sich zieht und ziert und gerade darin größte Zierde findet. Alles andere daneben „kannst häu(d)ln“.

Natürlich gebe ich nur subjektive Eindrücke wieder; sicher gibt es massive Unterschiede, und Ortsansässige erkennen schon am ersten Schnaufer, ob jemand aus Marchtrenk oder Downtown-Vogelweide kommt. Wahrscheinlich braucht es dafür überhaupt nur ein Wort: GOI. Ich schreibe es bewusst in Großbuchstaben, denn GOI ist grammatikalisch eine eigene Kategorie: Subjekt, Prädikat und Objekt in einem – ein Satz in Wortform. Wo andere Romane schreiben, sagt man hier GOI. Und das kann nicht nur alles heißen, GOI IST ALLES. Dass es nicht in der Bibel steht, muss ein Übersetzungsfehler sein. „Und Gott sprach: ‚Es werde! GOI?‘“ Da hatte die Schöpfung keine andere Wahl. Immer wieder beeindruckt mich, dass GOI zugleich verbindend klingen, aber auch eine kleine Drohung mittransportieren kann: Irgendwo hörte ich im Vorbeigehen jemand am Handy sagen: „Tatts eh nit en Toaster einschalten, GOI?“ Da hatte ich um die Menschen am anderen Ende der Leitung ein wenig Angst.

GOI ist aber auch ein Beispiel für die magische Eigenschaft von Sprache, dass manche Worte viele Dinge zugleich ausdrücken können. Bedeutungen fließen, fluktuieren und flimmern. Anschaulich wird das etwa an dem schönen Welser Satz: „Das wird jetzt dann entwickelt“, der ja nicht bedeutet, dass etwas entsteht, was für die Menschheit eine unverzichtbare Neuerung wäre, sondern dass bald die Bagger auffahren und eine weitere „Gstettn“ niedergewalzt wird, auf dass sich vor Ort die Erde und andernorts die Kontostände bewegen mögen. „Das wird jetzt dann entwickelt, GOI?“ wäre dann die Steigerung, die sowohl Machtlosigkeit vor fremder Bauwut als auch einen kumpelhaft neckischen Bauauftrag ausdrücken kann.

Auch bemerke ich, wie Natur und Lebensraum die Sprache unterschiedlich prägen: „Schwammerl“ sind zum Beispiel in meiner Tiroler Heimat Pilze, die aus der Erde gezogen werden – hier sind es Dächer, die in den KJ hineingepflanzt wurden. Sie sind auch nicht rund, sondern liegen formal irgendwo zwischen kindlicher Kunst à la Joan Miró und dreidottrigem Spiegelei. Passend zur freien Form wird auch das Konzept des Wortes „Dach“ (übers.: „Dooch“) neu ausgelegt: Es wird hier durchlässiger interpretiert. Wahrscheinlich entspricht das dem Zeitgeist, viele alte Worte werden ja mittlerweile kritisch hinterfragt. Doch das ist eben Sprache in all ihrer Schönheit: dehnbar und schillernd – eine wabernde Blase. Mit anderen Worten: Man wird sehen, wie sich all das entwickelt.

P.S.: Falls Sie mir Nachhilfe geben und mir Ihre liebsten Dialektwörter beibringen wollen, freue ich mich! Schreiben Sie mir, GOI?, unter: wels@stefanabermann.org

Filmgespinnste

(Welser Kolumne #8, erschienen in OÖ Nachrichten am 2.9.21)

Wels ist für mich auch eine Gelegenheit, um eine alte Liebe wieder aufleben zu lassen. Diese Liebe ist schwerelos, ein Traum aus Bild, Ton und diesem etwas angestaubten Geruch von Polstern, die schon manche schwere Last getragen haben: das Kino.

Seit Jahren hatte ich keinen Film mehr gesehen. Meine Kinder hatten mir diese Leidenschaft erfolgreich ausgetrieben. Doch dann brachte mich das Schicksal nach Wels, und ich erfuhr, dass ich eigentlich in einer ehemaligen Filmmetropole hauste. Ewig schade, dass nie jemand den Schriftzug „Hollywels” auf den Reinberg zimmern hat lassen.

In den 50ern und 60ern muss hier der cinematographische Bär gesteppt haben: Hildegard Knef, Peter Alexander, James Coburn und der schöne O.W. Fischer (bei dem meine Mutter noch heute ins Schwärmen gerät) gaben sich hier die Klinke des Hotel Greif in die Hand, und ihre Autogramme scheinen kurz fast als Zweitwährung gegolten zu haben.

Doch am schönsten sind eigentlich die Filmtitel von damals, die auf eigentümliche Art eine gewissen Aktualität behalten haben: „Skandal in Ischl“ bräuchte nur 1 G mehr, um wieder aktuell zu sein, und „Vergiss, wenn du kannst“ ließe sich bestimmt als U-Ausschuss-Drama neu verfilmen. Nur „Vater macht Karriere“ müsste man wahrscheinlich gendergerecht anpassen. Dafür würde ich mich für das Remake von „Ja, ja, die Liebe in Tirol“ und „Almenrausch und Edelweiß“ fürs Casting anmelden, welche beide offensichtlich an den steilen Hängen des Welser Messegeländes entstanden sind. „Meine schöne Mama“ wäre heute zwar vielleicht weniger unschuldig, aber so wie jede Kunst hat halt auch das Kino seine Moden.

Verführerisch wäre aber die Vorstellung, auch in der Zukunft wieder Filmproduktionen nach Wels zu holen. Vielleicht ließen sich sogar Lokal-Versionen bekannter Filmklassiker drehen: „Jagd auf roter Oktober“ könnte man als Wahlkampfdoku der SPÖ anlegen, „Deep Blue Sea“ präsentierte eine Philosophievorlesung von Bürgermeister Rabl, gedreht am Sprungturm des Welldorado. Auf der Osttangente entstünde „The fast and the furious – Teil 4600“. „300“ wiederum könnte von einem Heer Thalheimer Aufständischer handeln, welche sich gegen die Eingemeindung verteidigen, „Hangover“ beleuchtete eine verhängnisvolle Nacht in der Hafergasse, und „Karate-Kid“ ließe such gut auf Judo trimmen, denn das Budokan als Filmkulisse sollte man sich nicht entgehen lassen.

Die Möglichkeiten wären endlos. Und diese Eigenschaft teilen sich Film und Wels: Man braucht oft nicht viel, um traumhafte Geschichten zu schreiben – nur etwas Fantasie und Liebe, schon entstehen filmreife Szenen.

P.S.: Falls Sie weitere Ideen zu Welser Remakes haben sollten, schreiben Sie mir unter: wels@stefanabermann.org. Ich bin gespannt auf Ihre persönlichen Blockbuster.

Automatismen

(Welser Kolumne #7, erschienen in den OÖ Nachrichten am 26.8.21)

Wels ist Einkaufsstadt, Messestadt, aber auch: Stadt der Autos. In Zeiten, in denen man oft statt der Autos andere Fortbewegungsmittel forciert, ist das doch etwas Besonderes. Nun fragt man sich, ob man etwas dafür oder dagegen machen sollte. Die Frage polarisiert. Manche behaupten, dass schon jetzt viel gegen den Verkehr unternommen wird. So besteht ja ein hinterhältiges System aus Einbahnen und Pop-up-Baustellen, das den Leuten das Autofahren austreiben soll. Allein, es scheint nicht zu funktionieren. Natürlich gäbe es auch andere Anreize, um das Auto verzichtbarer zu machen. Diese kommen aber hier nicht zum Einsatz. Öffiausbau, Fahrradschnellstraßen, verkehrsberuhigte Zonen … all das sind scheinbar Dinge, die zu exotisch sind, um sie dieser Stadt zuzumuten, selbst wenn viele sie sich wünschten. Stattdessen höre ich immer wieder von sagenumwobenen Verkehrsexperten, die vor Jahrhunderten belegt haben, dass all dies hier nie wirksam sein könnte.

Schon allein Zebrastreifen finden sich nicht an allen Kreuzungen, vielleicht weil nach der Bepinselung des breiten Übergangs bei der Bäckergasse keine Farbe mehr übrig war.

Jede Einschränkung des Autos scheint eine Kränkung zu sein. Manche Orte in der Stadt sind praktisch unerreichbar, denn: „Da find’ i jo kan Paakplotz!“ Ein Ausruf, in dem laut die große Ungerechtigkeit des Universums anklingt.

Wer kein Auto hat, gilt fast als Kuriosum. Mir wurde von Menschen erzählt, die sich als K1-Personen am Telefon erst einmal rechtfertigen mussten, warum sie denn bitte nicht in die Teststraße fahren könnten. Das ist ungefähr so, als würde man einen grünen Pass in Papierform haben wollen! Eine unfassbare Vorstellung. Zu-Fuß-Gehen – so einen Quatsch macht man doch nur am Laufband im Fitnessstudio. Warum man in der Fuzo nicht noch irgendwo Parkplätze eingebaut hat, ist mir rätselhaft. Der ganze schöne Freiraum wird nun sinnlos durch Kaffeetischchen und Menschen verschwendet. Dabei ist doch erwiesen, dass es anderswo auch ging: Am Stadtplatz wurden ja sogar breitere Parkplätze geplant, damit die Vorstadt-Panzer in die Shopping-Schlacht ziehen können. Was Sinn macht, weil dort vieles verkauft wird, was schwer transportierbar ist – Eisbecher zum Beispiel.

Außerdem sind Fußgänger ja bescheiden. Sie brauchen nicht viel Platz. Sie teilen sich gern die Gehsteige mit Radfahrern, wobei die beiden Spuren nicht breiter sein müssen als der weiße Streifen, der sie trennt. Aber wahrscheinlich braucht man die Gehsteige ohnehin eher, um sich die nächtlichen Straßenrennen anzusehen.

Nun werden Sie vielleicht denken, ich würde das Auto beleidigen. Mitnichten. Ich weiß, dass es manchmal gebraucht wird. Doch Alternativen würden nicht schaden. Aber etwas am Auto muss magisch sein. Sonst würden wir ihm nicht so viel unterordnen.

Aber vielleicht wollen Sie ohnehin lieber mit mir Fahrrad fahren? Schreiben Sie mir bitte, unter: wels@stefanabermann.org.

Schachtelsätze

(Welser Kolumne #6, veröffentlich in den OÖ Nachrichten am 19.8.21)

Das Wichtigste vorab: Bei der Entstehung dieser Kolumne wurde keine Schuhschachtel beschädigt.

Ich bin ein Freund sprachlicher Bilder. Bilder haben Vorteile, vor allem vereinfachen sie – was auch zu ihrem Nachteil werden kann, denn: Man neigt dazu, nur das Offensichtlichste wahrzunehmen, und nicht hinter die Kulisse zu schauen. Ähnlich ist das mit Hausfassaden: Man kann darüber diskutieren, ob eine Fassade „schön“ ist. Aber heißt das auch, dass es schön ist, darin zu wohnen? Hier kommen wir zu meinem liebsten Welser Sprachbild: Der Schuhschachtelarchitektur. Allerdings wird auch hier gerne nur bis zur Fassade diskutiert. Dabei übersieht man, dass ja auch Schuhschachteln Vorteile haben. Sie machen Schuhe stapelbar – Besitzer voller Kleiderkästen werden mir beipflichten.

Noch komplizierter wird es, wenn in Schuhschachteln plötzlich andere Dinge aufbewahrt werden. Ich will nicht gleich Menschen in Schachteln stapeln (Gott bewahre!), aber denken wir das Bild weiter: Wenn also etwa Blumen in Schuhschachteln wachsen sollen, müsste man die Schachtel anders gestalten. Soweit es mir bekannt ist, gehen Karton und feuchte Erde nicht gut zusammen.

Und was ist mit den Blumen rund um das Schachtelbeet? Wenn der Arkadenhof etwa Risse bekommt, weil das Gebäude dahinter nicht mehr steht; wenn das Wasser durch die Schutzfolien in der Freiung rinnt – dann würden die Bewohner vielleicht sogar eine Schuhschachtel als Stütze von außen akzeptieren. Die Verantwortung endet also nicht an der Schachtelgrenze. Dafür fängt man an, sich zu fragen, wer denn die Schachteln errichtet und die Ansprüche stellt? Hier wiederum kommt das Geld ins Spiel, das lieber viele Schuhe pro Schachtel hat, als darauf zu achten, dass jeder auch noch Platz zum Binden der Schnürsenkel braucht. Das Geld vergisst, dass in seinen Schachteln auch herzliche Menschen und menschliche Herzen wohnen, Geschöpfe mit einer eigenwilligen Form, für die man eine neue Verpackungsindustrie bräuchte.

So muss man sich einer anderen Wahrheit stellen: Blumen wachsen am besten in Gärten. Blumen brauchen Luft und Liebe. Dadurch wird ein einfaches Bild plötzlich zu einer komplizierten Frage: Was macht die Schachtel mit dem Schuh? Wer stapelt die Schachtel? Und wo blühen Blumen? Irgendwie vegetieren sie ja überall, selbst in Schuhschachteln, solange die Wände halten. Nur wenn die Wände aus Geldscheinen bestehen, wird die Schachtel schnell kaputt. Das für niemanden gut, weder für Blumen, noch für Schuhe.

Mit anderen Worten: Bauen wir Blumentöpfe.

P.S.: Vielleicht fallen Ihnen Orte in Wels ein, an denen etwas Neues wächst und Schönes entsteht? Etwas, in dem viel Herz steckt? Ich freue mich über Einladungen zu blühenden Begegnungen unter: wels@stefanabermann.org. Ich schnüre gern meine Schuhe und marschiere zu Ihnen.

Per Dieselbus durch die Galaxis

(Wels-Kolumne #5)

Als ich nach Wels kam, humpelte ich auf Krücken. Aber dann zündete ich den Turbo.

Auf Krücken lernt man eine Stadt neu kennen. Selbst kürzeste Wege fühlten sich an wie eine Reise zum Mars. Doch dann kam die Rettung: Die Welser Linien stifteten ein Stadtschreiber-Ticket. Ich fühlte mich wie neugeboren: Aus dem vierbeinigen Stadtschreiber wurde Agent 00-Wels, mit der Lizenz zur Freifahrt. Endlich stünden mir entlegenste, exotische Destinationen offen: etwa Dickerldorf oder Thalheim – das fand ich … oberhart.

Doch als ich meine Errungenschaft in Gesprächen erwähnte, erntete ich statt des erwarteten Jubels nur ein mühsam unterdrücktes Lächeln. Und ich fragte mich: Was wussten diese Menschen über den Welser Nahverkehr, was ich noch nicht wusste?

Zuerst lernte ich den Wert einer Haltestelle neu. Auf Krücken fühlt sich die Suche danach an wie die Jagd nach neuen Galaxien. Lichtjahre entfernt schienen mir die verheißungsvollen sonnengoldenen Schildchen. Und während ich so heranhinkte, kam ich ins Nachdenken: Welcher Bus fährt da eigentlich? Und wann fährt er? Was, wenn ich zu langsam bin und mir der Bus vor der Nase davonfährt? Nachlaufen kann ich kaum. Doch wann fährt der nächste? Fährt überhaupt noch einer? Komme ich jemals nach Hause? Die Grenze zwischen Timing und Taktung kann schmerzhaft sein.

Weiters lernte ich eine neue astronomische Konstante: So wie die Erde um die Sonne kreist, dreht sich das Welser Bussystem um den KJ – allerdings wird die Sonne gerade umgebaut, weshalb man im Orbit ein gefinkeltes System von Ersatzhaltestellen platziert hat. Das Kreuz aus Rabl- und Karl-Loy-Straße war ein schwarzes Loch, aus dem ich lange nicht herausgefunden habe. So saß ich da, über mir zogen die Sterne vorbei wie die Rücklichter von Sammeltaxis. Ich kam ins Sinnieren. Ich begriff etwa die Botschaft der Haltestellen: Man sucht lang nach der richtigen, doch wenn man sie gefunden hat, muss man sie fest-halten (daher der Name). Ich verstand, warum der Weg das Ziel sein kann: weil man irgendwann kein Ziel mehr braucht, sondern nur froh ist, wenn man irgendwo mitfahren kann. Ich begriff den Zufall als eine Chance, um Orte zu bereisen, die vielleicht noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Denn das Schicksal verhält sich ja im Grunde wie ein Stadtbus: Es bewegt sich nach eigenen Gesetzen, die man nicht immer bestimmen kann, doch wenn man seine Destination erreicht, hat man was geschafft – als wäre man der erste Mensch am Mond.

P.S.: Falls Sie noch ein Ziel für Ihre persönliche Lebensreise brauchen, kann ich Ihnen das Welser Lesefest empfehlen. Gemeinsam mit echten Literatur-Stars lese ich am Samstag, den 14. August, im Burggarten. Und falls Sie Vorschläge für neue Reisen im Wels-All haben, schreiben Sie mir bitte unter: wels@stefanabermann.org.

(Veröffentlicht in den OÖ Nachrichten, am 12.8.21)

Vier Gleise für ein Halleluja

Wenn ich am Welser Lokalbahnhof sitze, denke ich an den Wilden Westen.

Als ich ein Kind war, gab es in der Nähe von München einen Western-Park namens „No Name City“, eine Art lebendig gewordene Filmkulisse. Da sanken Revolverhelden publikumswirksam in den Staub und irgendwann erfolgte ein Angriff echter bayrischer Ureinwohner, die mit wildem Geschrei durch die staubigen Straßen galoppierten. Ich schürfte Gold in einem künstlichen Bach. Es war wie bei Winnetou im Fernsehen, nur echt.

Am Welser Lokalbahnhof läuft in meinen Gedanken der gleiche Film. Die Sonne lässt die Gleise singen, und es liegt dieser metallische Geruch in der Luft, den nur Bahnhöfe und rauchende Colts verströmen können. Das Wartehäuschen sieht aus, als warte es selbst auf etwas. Der Stationsvorsteher tippt sich an den Hut, um den Lokführer zu grüßen. In der Justizanstalt dösen die Sheriffs. Ein Namenloser steigt aus dem Sattel seines Drahtesels, und bestimmt tritt drüben aus dem Quester gleich ein Desperado, der zu High Noon eine Wand verputzen möchte. Dazu spielt irgendwo jemand Mundharmonika.

Der Western ist eine Geschichte der Schicksale, der ungewissen Zukunft und des Aufbruchs. Doch was, wenn die Geschichte anders gekommen wäre? Wenn Anfang des 20. Jahrhunderts die Bahntrassen Richtung Südböhmen und Phyrnpass anders gebaut worden wären, wenn Wels statt Linz zum Verkehrsknotenpunkt geworden wäre? Wie sähe er dann aus, der Lokalbahnhof, wenn die Geschichte seine Weichen anders gestellt hätte? Würde es hier wuseln vor Geschäftigkeit, vor einer Kulisse aus austauschbaren Coffee-to-go-Saloons?

Und wo wird er hingaloppieren, der Lokalbahnhof, in der Zukunft? Wie wird der Westen sich entwickeln, wenn die Planwägen kommen und der Goldrausch losgeht? Fest steht wohl, dass der nächste Angriff nicht auf Pferden erfolgt, sondern wohl eher durch Immobilienfirmen – für eine Handvoll Dollar.

Davon ist noch nichts zu sehen. Noch liegt alles ruhig. Und noch kann man ihn genießen, diesen Ort, an dem man zusehen kann, wie die Gleise des Lebens verlaufen: Manchmal verlegt man sie genau durch deine Träume, manchmal knapp daran vorbei. Manchmal reitest du auf dem eisernen Dampfross in die Zukunft, manchmal bleibt dir nur ein Stadtschreiber übrig, der von Cowboy-Filmen träumt. Doch wo immer du hingehst, Lokalbahnhof, ich hoffe, dass du auch in der Zukunft ein wenig Platz hast: für glorreiche Halunken wie mich, für the Good, the Bad and the Ugly und für alle Billy-the-Kids und Calamity-Janes dieser Welt.

Falls auch Sie Ihr Schicksal in die Hand nehmen wollen, schreiben Sie mir doch unter: wels@stefanabermann.org. Ich suche nämlich noch nach Unerschrockenen, die mit mir ein ganz besonderes Duell wagen wollen: Pro Person eine Kugel – am Minigolf-Platz.

(Welser Kolumne #4 – erschienen in den Oberösterreichischen Nachrichten)