(Welser Kolumne #10 – erschienen am 16.9.21 in den Oberösterreichischen Nachrichten)
Es ist so weit. Monate der Vorbereitung liegen hinter mir. Ich habe Wels durchstreift, um mich abzuhärten. Ich habe trainiert: Körper, Geist und Zunge. Jetzt bin ich bereit für die ultimative Prüfung. Ich gehe rüber. Nach Thalheim.
Doch schon auf der Brücke beschleichen mich Zweifel. Mich umgibt diese Stille, die ich eigentlich nur aus Horrorfilmen kenne – Sie wissen schon: kurz, bevor etwas passiert. Unter mir schmatzt die Traun im Morgengrauen, wie eines dieser Wesen aus mittelalterlichen Gruselgeschichten. Damals dürften die Schauermärchen gleich geklungen haben: „Geh nicht hinüber, Kind“, warnten sie. „Halt dich bloß fern … von der Thalheimer Seit’n.“
Die „Thalheimer Seit’n“, das klingt wie die dunkle Seite der Macht – der Ort, wo sich Darth Vader ein Reihenhäuschen kaufen würde. Immer, wenn der Ort ins Gespräch kommt, klingt etwas Vorsicht durch, als erzählte man von einem Familienmitglied, das einen bei einer Erbschaft übers Ohr gehaut hat; als müsste man sich gleich bekreuzigen und eine Steuererklärung abgeben. Man könnte meinen, es lebten auf der anderen Traunseite nur Orks, Voldemort und freilaufende Hunde. Vielleicht sollte man drüber nachdenken, den Ort in „Du-weißt-schon-wo“ umzubenennen. Menschen, die dort wohnen, geben es deshalb erst nach mehrtägigem Kennenlernen zu – verschämt gestehen sie, dass sie da ein ganz bescheidenes Häuschen geerbt hätten und dann unerklärlicherweise hängengeblieben seien. Ach Thalheim, diese Gletscherspalte Oberösterreichs: Wenn man einmal reinfällt, kommt man nie wieder raus.
Man fragt sich, warum Wels diesen Ort tatsächlich eingemeinden will. Vielleicht gibt es dort Bodenschätze, von denen niemand weiß – roten Asphalt für neue Begegnungszonen vielleicht. Doch derweil schafft die Traun eine Situation wie bei Asterix im „Großen Graben“. Auf beiden Seiten entstehen dunkel gespiegelte Infrastrukturen und Wahlplakat-Varianten, Familien wurden entzweigerissen, und nur der Reinberg dient noch als moralische Stütze für jene, die zwar in Thalheim wohnen, aber ein Stück Wels noch im Herzen tragen – so wie der Punkt in den Hälften des Jing und Jang.
All das geht mir durch den Kopf, während ich auf der Brücke stehe und zur Marienwarte hinüberschaue. Die Sonne ist aufgegangen, golden strahlt der Hang. Verführerisch sieht es aus. Doch ich denke an die Warnungen der Alten: Das Leben auf der Sonnenseite kostet etwas – nicht nur Grunderwerbssteuer. Drum, Stadtschreiber, bleib bescheiden. Bleib lieber in Beverly Wels. Ich bin also wieder umgedreht. Ich war wohl noch nicht bereit für die „Thalheimer Seit’n“.
P.S.: Natürlich ist all das nur eine kleine, geflunkerte Gruselgeschichte. Hübsch war’s, in Thalheim. Aber falls Sie vielleicht nochmal eine kleine Runde mit mir drehen wollen, schreiben Sie mir doch, unter: wels@stefanabermann.org.