Wortschatzsuche

(Welser Kolumne #9, erschienen in den OÖ Nachrichten am 9.9.21)

Für mich als Tiroler gab es vor allem eine zauberhafte Begegnung in Wels: jene mit dem Dialekt. Angefangen mit dem „Fopper“, der einem auf hinterhältige Art die Sprache raubt, bis hin zum „Jauggerl“, das so häschenhaft durch die Dialektlandschaft hoppelt, dass jede Durchimpfungsrate plötzlich etwas Herzerwärmendes bekommt. (Wie ein Herbert Kickl da widerstehen kann, kann ich kaum ergründen.) Das hiesige Idiom ist wunderbar. Nicht immer ist klar, wo ein Konsonant anfängt und ein Vokal aufhört. Es ist so weich, dass ich ständig an frisch gewaschene Frotteehandtücher denken muss; ein Gesang, der sich zieht und ziert und gerade darin größte Zierde findet. Alles andere daneben „kannst häu(d)ln“.

Natürlich gebe ich nur subjektive Eindrücke wieder; sicher gibt es massive Unterschiede, und Ortsansässige erkennen schon am ersten Schnaufer, ob jemand aus Marchtrenk oder Downtown-Vogelweide kommt. Wahrscheinlich braucht es dafür überhaupt nur ein Wort: GOI. Ich schreibe es bewusst in Großbuchstaben, denn GOI ist grammatikalisch eine eigene Kategorie: Subjekt, Prädikat und Objekt in einem – ein Satz in Wortform. Wo andere Romane schreiben, sagt man hier GOI. Und das kann nicht nur alles heißen, GOI IST ALLES. Dass es nicht in der Bibel steht, muss ein Übersetzungsfehler sein. „Und Gott sprach: ‚Es werde! GOI?‘“ Da hatte die Schöpfung keine andere Wahl. Immer wieder beeindruckt mich, dass GOI zugleich verbindend klingen, aber auch eine kleine Drohung mittransportieren kann: Irgendwo hörte ich im Vorbeigehen jemand am Handy sagen: „Tatts eh nit en Toaster einschalten, GOI?“ Da hatte ich um die Menschen am anderen Ende der Leitung ein wenig Angst.

GOI ist aber auch ein Beispiel für die magische Eigenschaft von Sprache, dass manche Worte viele Dinge zugleich ausdrücken können. Bedeutungen fließen, fluktuieren und flimmern. Anschaulich wird das etwa an dem schönen Welser Satz: „Das wird jetzt dann entwickelt“, der ja nicht bedeutet, dass etwas entsteht, was für die Menschheit eine unverzichtbare Neuerung wäre, sondern dass bald die Bagger auffahren und eine weitere „Gstettn“ niedergewalzt wird, auf dass sich vor Ort die Erde und andernorts die Kontostände bewegen mögen. „Das wird jetzt dann entwickelt, GOI?“ wäre dann die Steigerung, die sowohl Machtlosigkeit vor fremder Bauwut als auch einen kumpelhaft neckischen Bauauftrag ausdrücken kann.

Auch bemerke ich, wie Natur und Lebensraum die Sprache unterschiedlich prägen: „Schwammerl“ sind zum Beispiel in meiner Tiroler Heimat Pilze, die aus der Erde gezogen werden – hier sind es Dächer, die in den KJ hineingepflanzt wurden. Sie sind auch nicht rund, sondern liegen formal irgendwo zwischen kindlicher Kunst à la Joan Miró und dreidottrigem Spiegelei. Passend zur freien Form wird auch das Konzept des Wortes „Dach“ (übers.: „Dooch“) neu ausgelegt: Es wird hier durchlässiger interpretiert. Wahrscheinlich entspricht das dem Zeitgeist, viele alte Worte werden ja mittlerweile kritisch hinterfragt. Doch das ist eben Sprache in all ihrer Schönheit: dehnbar und schillernd – eine wabernde Blase. Mit anderen Worten: Man wird sehen, wie sich all das entwickelt.

P.S.: Falls Sie mir Nachhilfe geben und mir Ihre liebsten Dialektwörter beibringen wollen, freue ich mich! Schreiben Sie mir, GOI?, unter: wels@stefanabermann.org