Schachtelsätze

(Welser Kolumne #6, veröffentlich in den OÖ Nachrichten am 19.8.21)

Das Wichtigste vorab: Bei der Entstehung dieser Kolumne wurde keine Schuhschachtel beschädigt.

Ich bin ein Freund sprachlicher Bilder. Bilder haben Vorteile, vor allem vereinfachen sie – was auch zu ihrem Nachteil werden kann, denn: Man neigt dazu, nur das Offensichtlichste wahrzunehmen, und nicht hinter die Kulisse zu schauen. Ähnlich ist das mit Hausfassaden: Man kann darüber diskutieren, ob eine Fassade „schön“ ist. Aber heißt das auch, dass es schön ist, darin zu wohnen? Hier kommen wir zu meinem liebsten Welser Sprachbild: Der Schuhschachtelarchitektur. Allerdings wird auch hier gerne nur bis zur Fassade diskutiert. Dabei übersieht man, dass ja auch Schuhschachteln Vorteile haben. Sie machen Schuhe stapelbar – Besitzer voller Kleiderkästen werden mir beipflichten.

Noch komplizierter wird es, wenn in Schuhschachteln plötzlich andere Dinge aufbewahrt werden. Ich will nicht gleich Menschen in Schachteln stapeln (Gott bewahre!), aber denken wir das Bild weiter: Wenn also etwa Blumen in Schuhschachteln wachsen sollen, müsste man die Schachtel anders gestalten. Soweit es mir bekannt ist, gehen Karton und feuchte Erde nicht gut zusammen.

Und was ist mit den Blumen rund um das Schachtelbeet? Wenn der Arkadenhof etwa Risse bekommt, weil das Gebäude dahinter nicht mehr steht; wenn das Wasser durch die Schutzfolien in der Freiung rinnt – dann würden die Bewohner vielleicht sogar eine Schuhschachtel als Stütze von außen akzeptieren. Die Verantwortung endet also nicht an der Schachtelgrenze. Dafür fängt man an, sich zu fragen, wer denn die Schachteln errichtet und die Ansprüche stellt? Hier wiederum kommt das Geld ins Spiel, das lieber viele Schuhe pro Schachtel hat, als darauf zu achten, dass jeder auch noch Platz zum Binden der Schnürsenkel braucht. Das Geld vergisst, dass in seinen Schachteln auch herzliche Menschen und menschliche Herzen wohnen, Geschöpfe mit einer eigenwilligen Form, für die man eine neue Verpackungsindustrie bräuchte.

So muss man sich einer anderen Wahrheit stellen: Blumen wachsen am besten in Gärten. Blumen brauchen Luft und Liebe. Dadurch wird ein einfaches Bild plötzlich zu einer komplizierten Frage: Was macht die Schachtel mit dem Schuh? Wer stapelt die Schachtel? Und wo blühen Blumen? Irgendwie vegetieren sie ja überall, selbst in Schuhschachteln, solange die Wände halten. Nur wenn die Wände aus Geldscheinen bestehen, wird die Schachtel schnell kaputt. Das für niemanden gut, weder für Blumen, noch für Schuhe.

Mit anderen Worten: Bauen wir Blumentöpfe.

P.S.: Vielleicht fallen Ihnen Orte in Wels ein, an denen etwas Neues wächst und Schönes entsteht? Etwas, in dem viel Herz steckt? Ich freue mich über Einladungen zu blühenden Begegnungen unter: wels@stefanabermann.org. Ich schnüre gern meine Schuhe und marschiere zu Ihnen.